Liebste Lauscherinnen und Lauscher,
ich hab es geschafft. Und es ist auch nichts Schlimmes passiert. Breites Lächeln. Ich bin jetzt in die nächste Runde eingestiegen und umarme, was da kommen mag. Erst einmal einen großen Dank für die sehr schönen Konzerte im Mai. Wir haben das sehr genossen mit Euch. Nach dem Konzert in Glonn haben wir um Mitternacht noch auf meinen runden Geburtstag angestoßen und sind am nächsten Tag in meiner Geburtsstadt Karlsruhe zwischengelandet. Ich wusste noch die Adresse des Hauses, in dem ich die ersten 5 Jahre meines Lebens verbracht hatte. Unser Hotel war nicht weit entfernt. Also gingen wir hin. Ich versuchte, mich zu erinnern. Es ist ein sehr schönes altes denkmalgeschütztes Haus, aber von außen kam keine Verbindung. Ich nahm meinen Mut zusammen und klingelte. Ein älterer Herr öffnete und ich erzählte ihm, dass ich vor 60 Jahren hier gewohnt hatte. Als ich die Treppe und den Flur sah, wusste ich, das ist richtig hier. Als ich meinen Namen nannte, wusste der Mann sogar, wer ich war. Mein Vater, der Grafiker war, hatte wohl damals Mitte der 60er die Hochzeitsanzeige für das Ehepaar entworfen. Und so durfte ich sogar die Wohnung sehen. Das war sehr berührend. Die Treppe, die sich so stark nach innen verjüngt, war mir als Kind immer als sehr steil und ein wenig beängstigend in Erinnerung geblieben. Da stand ich nun und dachte über Perspektiven nach. Wie sie sich verändern, wenn wir klein sind. Alles kommt uns so riesig vor. Dann wachsen wir und alles verschiebt sich. Als Erwachsener weiß man, das ist nicht schlimm. Man kann ja auch einfach außen gehen, wo die Stufen breit sind. Aber da kam ich nicht ans Geländer. Das gespeicherte Gefühl bleibt. So wie aus Wunden Narben werden, wenn wir sie besehen lernen. So wie wir unsere Geschichten im besten Falle irgendwann endlich selbst schreiben und uns entknüpfen von dem, was uns belastet. Und damit meine ich nicht, die Vergangenheit anders anzumalen. Sondern sie ganz und gar zu betrachten, aus dem herauszuwachsen, was uns verletzt hat und in Liebe zu gehen und in Verbindung. Die Flucht vor dem, was war, treibt seltsame Blüten. Immer mehr Menschen in diesem Land wollen nichts mehr von der Geschichte unseres Landes wissen. Sie fühlen sich belastet. Was haben wir nur falsch gemacht in der Art uns zu erinnern, dass bei so vielen so wenig in den Herzen gelandet ist, dass Menschen einfach nur frei sein wollen von dieser Geschichte, statt sich aufzurichten, sich in Anerkennung des Leids zu erinnern, um dann klar zu sagen, in diese Richtung gehen wir nie wieder? Vielleicht haben wir vergessen, die Dinge vom Herzen her in das jetzige Leben zu ziehen. Menschen neigen dazu, sich selbst zu erhöhen und sich über andere zu stellen, wenn sie sich schwach fühlen, statt sich zu verbinden. Was haben wir da nicht gelernt? Es liegt so viel Schwäche in Rassismus und Diskriminierung. So viel Angst davor, überrannt zu werden. Wie klein muss man sich fühlen, dass es einem nur besser geht, wenn man einen anderen klein macht und ausgrenzt und sich selbst als erhaben sieht? Wie viel Angst vor Entwicklung und Wandlung, vor Öffnung und Evolution lebt da? In seinem Buch: „Der Verlust des Mitgefühls“ beschreibt Arno Gruen das mit fehlender Empathie für das eigene Leid. Nimmt man sein Eigenes wahr und zu sich, dann spürt man auch das des anderen, statt zu verdrängen. Und das ist die Verbindung. Echte Identität bedeutet für mich, ein fühlender Mensch zu sein. Finde ich keine, die mich ankommen lässt, brauche ich Identifikation. Die kann ich mir überstülpen und spüre dann nicht mehr, wo die Untiefen in mir selbst sind. Je enger und klarer Gesinnung einfriert, desto definierter die Welt, desto kleiner, überschaubarer und vor allem ausgrenzender, mit klaren Hassobjekten wird alles. Verdrehte Heimatliebe, Nationalstolz, Verachtung anderer Volksgruppen, Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Verachtung für anders liebende oder gar verdrehte christliche Werte. Das funktioniert alles leider sehr gut. Irgendwann ist das Herz taub und die Gesinnung bei 100 %. Bloß keine Andersartigkeit. Ohne hinzusehen, was ist. Wissenschaft und freie Kultur werden unterdrückt und wache Menschen eingeschüchtert.
Und wieder einmal reimt sich in erschreckender Weise Geschichte. Als würde jede neue Generation in die gleiche Falle tappen. Sündenböcke finden, Gruppen verachten und daraus immer mehr Einschränkungen für alle legitimieren. Es gibt keine Verhandlungsmöglichkeiten bei der Verletzung von Grundrechten und Menschenwürde für mich. Nur Überschreitungen. Bis alle heulen, denn wenn es kippt, sind alle Menschen betroffen, nicht nur die Marginalisierten und Verachteten. Etwa 2-6 % in verschiedenen Altersgruppen der Menschen in Deutschland sind nicht heterosexuell. Und immer noch wird Homosexualität in einem Atemzug mit Pädophilie und Kriminalität genannt und als Gefahr für Kinder deklariert. Ich denke an meine Freunde und Freundinnen, die homosexuell sind. An die Transmenschen, die ich kenne und an ihre Angst vor dem, was da noch kommen könnte. Das macht mich sehr traurig. Keiner von ihnen ist plötzlich homosexuell geworden, weil man darüber gesprochen hat. Jeder von ihnen war allerdings unendlich dankbar dafür, wenn er oder sie nicht als falsch gesehen wurden.
Die Rebellion der Jungen gegen die Alten in den sechziger Jahren ging in die entgegengesetzte Richtung. Und nun? Rechtsextreme Jugendliche rebellieren gegen alles, was offen und frei ist, und ihre Wut richtet sich gegen die, die vermeintlich weniger wert oder falsch sind. Das macht mich traurig in einem Land, in dem so vieles möglich wäre. Es gibt glücklicherweise auch sehr viel Engagiertes und Beeindruckendes von jungen Menschen, über das ich mich immer freue wie Bolle. Muss alles erst noch einmal richtig mies werden, um den großen Wert von Freiheit, die eben nicht Willkür bedeutet, sondern immer ALLE meint, wirklich zu begreifen und alles dafür zu tun, dass sie bleibt? Wie mutig sind wir?
Das Einzige, was diese große Welt jetzt zusammenbringen könnte, wäre Verbindung, nicht Trennung. Denn alles geht nur gemeinsam. Wie bekommen wir das hin? Immer wieder in unseren Freundschaften und Familien, in unseren Begegnungen. Wenn Du merkst, dass ein Vorurteil sich aufbaut, triff jemanden, gegen den es sich richtet. Schau Dir einen der Menschen an, vor dem Du Vorbehalte hast. Und ja, es gibt sie allen Farben, die Miesen und die Feinen. Aber niemals ist einer alle.
Liebt, was das Zeug hält. Ich tu das auch.
Bis ganz bald, ja? Christina Lux
Liebe Menschen im Ruhrgebiet. Der 6. Juni in UNNA, LINDENBRAUEREI, der könnte noch einen guten Schubs im Vorverkauf gebrauchen. Wer es gern verkünden und verbreiten mag, sehr gern oder kommt einfach selbst rum. Merci de LUXe!
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